Gegenstand der Klinischen Neuropsychologie ist die Untersuchung der Beziehung zwischen Schädigungen und Funktionsstörungen des Gehirns und den damit verbundenen Veränderungen im Verhalten und Erleben. Beeinträchtigungen der Struktur und Funktion des Gehirns treten typischerweise nach Kopfverletzungen bei (Auto-)Unfällen sowie im Rahmen von neurologischen Erkrankungen, wie z.B. Schlaganfall, Parkinson-Erkrankung und Demenz auf. Die wichtigsten neuropsychologischen Funktionen, die anschließend auffällig sein können, betreffen dabei in erster Linie die Bereiche Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Sprache und Handlungsplanung. Daneben kann sich die Persönlichkeit einschließlich des Gefühlslebens der Patienten verändern. Manchmal fällt es Personen mit erworbenen Hirnschädigungen besonders schwer, sich in andere Menschen hinzuversetzen und deren Gefühle, Wünsche und Überzeugungen zu verstehen. Diese Veränderungen werden typischerweise von Angehörigen stärker wahrgenommen als von den Betroffenen selbst. Darüber hinaus klagen viele Patienten gerade in der Anfangsphase nach einer erworbenen Hirnschädigung häufig über eine niedergeschlagene Stimmung, die das Ausmaß einer depressiven Störung annehmen kann. Auch können sich andere psychische Erkrankungen begleitend entwickeln, die häufig mit Umstellungsschwierigkeiten auf die veränderte Lebenssituation zu tun haben. Probleme in den genannten Bereichen können für die Betroffenen massive Einschränkungen hinsichtlich der beruflichen Wiedereingliederung und Leistungsfähigkeit, der Fahrtauglichkeit, des Soziallebens und der allgemeinen Funktionsfähigkeit und Lebensqualität im Alltag nach sich ziehen.
Bis zu 550.000 Menschen sind in der Bundesrepublik pro Jahr nach Hirnschädigung oder Hirnerkrankung von Beeinträchtigungen der Hirnfunktionen betroffen (Kasten et al., 1997). Davon entfallen ca. 270.000 Fälle auf Schädel-Hirn-Traumata (Rickels et al., 2006) und 250.000 auf Schlaganfälle (Heuschmann et al., 2010). Ein Zehntel dieser Patient:innen bedarf ambulanter neuropsychologischer Versorgung. Während die Behandlung dieser Störungen lange Zeit nur im stationären Rahmen möglich war, ist die neuropsychologische Diagnostik und Therapie seit dem 24. Februar 2012 eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherungen, die auch ambulant erbracht werden kann. In der Praxis haben Patient:innen mit Hirnschädigungen jedoch nach ihrer Entlassung aus stationären Versorgungseinrichtungen, in denen auf neuropsychologische Probleme häufig nicht umfassend eingegangen werden kann, Schwierigkeiten, entsprechend ausgebildete, ambulant arbeitende Neuropsycholog:innen zu finden. Derzeit sind bundesweit nur ca. 200 ambulant tätige Psychologische Psychotherapeut:innen mit neuropsychologischer Zusatzqualifikation verzeichnet, was einer Versorgungsdichte von 1:360.000 bezogen auf die Bevölkerung entspricht. Um den Bedarf an ambulanter neuropsychologischer Diagnostik und Therapie zu decken, müsste die Anzahl der ambulant tätigen Neuropsychologen um etwa das Vierfache gesteigert werden (Mühlig et al., 2009). Neuropsychologische Behandlungsangebote sind nicht mit ergotherapeutischen oder logopädischen Maßnahmen vergleichbar, auch wenn diese Therapien wichtige Voraussetzungen für die neuropsychologische Therapie schaffen können. Neuropsychologen arbeiten auch stets interdisziplinär vernetzt mit anderen Behandelnden, wie z.B. Ergotherapeut:innen und Logopäd:innen. Die neuropsychologische Therapie, insbesondere wenn sie von Psychologischen Psychotherapeut:innen durchgeführt wird, geht jedoch über deren Angebote hinaus, weil sie sich mit der psychischen Gesamtverfassung der Betroffenen und ihren neuropsychologischen Problemen befasst.
Nach dem Approbationsstudium besteht die Möglichkeit, die fünfjährige Gebietsweiterbildung zur Fachpsychotherapeutin/ zum Fachpsychotherapeuten für Neuropsychologische Psychotherapie am Neuropsychologischen Therapie Centrum (www.np-ambulanz.de) unter der Weiterbildungsermächtigung von Prof. Dr. Boris Suchan und Prof. Dr. Patrizia Thoma zu absolvieren.